Der Wacholder (Juniperus communis)
Einer der wichtigesten Heilpflanzen der Volksmedizin
Weitere Namen: Reckholder, Kranewitt, Queckholder, Machandel, Weihrauchbaum.
Heilindikationen: stark harntreibend, magenstärkend, blutreinigend, appetitanregend, äußerlich hautbelebend. Bronchitis, Magen-Darmleiden, Gelenksleiden, Blasenentzündung.
In den schrecklichen Zeiten des Schwarzen Todes wandte man sich dem Wachholder erneut zu. Man weihte ihn dem Pestheiligen Sankt Rochus und räucherte wo es notwenig war, hieß es doch, „Eichenlaub und Kranewitt, dös mag der Teufel nit!“ Diese Anwendung ist nicht unvernünftig, denn das ätherische Öl ist stark keimtötend. Auch aß man die Beeren, zusammen mit Engelwurz, Bibernellwurz und anderen immunstärkenden Kräutern. Hier und da hätten mysteriöse Stimmen den Kranewitt als Schutzmittel verkündet. In Niederösterreich sang ein Vogel den verängstigten Menschen zu: “Esst Kranabier (Wacholder) und Bibernell, dann sterbet ihr nicht so schnell.“
In seinem „Kreutterbuch“ (1577) schreibt der Kräutervater Hieronymos Bock: „… ist in summa die würkung und tugent des Weckholterbaums zu beschreiben nit vol möglich.“ Fürwahr, so ist es bis heute geblieben. Neben dem Holunder gilt der Wachholder als einer der wichtigsten Heilpflanzen der Volksmedizin. Wirksam sind vor allem die bläulichen Beeren, die zu jeder Zeit, aber am besten im Spätherbst zu sammeln sind. Bei Sodbrennen hilft das Kauen einer Beere. Das aus den Beeren gewonnene keimtötende Öl ist fettlöslich und dringt gut in die Haut ein. Wacholderöl kann bei Gelenkleiden und Rheuma eingerieben werden. Auch tiefliegende Krankheitsherde können damit behandelt werden. Dr. Gerhard Orth, ein bekannter Heiler, der sich mit angeblich unheilbaren Krankheiten befasst, verwendet Wacholderöl zusammen mit anderen ätherischen Ölen in Olivenöl, zum Einreiben bei Borreliose.
Den Wacholder lernte ich zuerst bei den Cheyenne Indianern kennen. Beim Umzug in eine andere Wohnung riet mir der alte Medizinmann Tallbull, die Räume gründlich mit den getrockneten stacheligen Zweigen auszuräuchern, damit sämtliche übellaunigen Geister, die sich in irgendwelchen dunklen Ecken verstecken, die Weite suchen. Überhaupt galten die Wachholderarten bei den Indianern als besonders heilig. Da die Bäumchen anscheinend nie alt werden und immer grün bleiben, ist es für die Indianer Sinnbild des Lebens und der Erneuerung. Mit den balsamisch duftenden Zweigen wurde bei jeder Zeremonie geräuchert: beim Sonnentanz, bei schamanischen Heilritualen, bei Schwitzhüttenzeremonien und bei der Peyote-Seance. Mit Wacholderrauch vertrieben die Cheyenne die in der Prärie so heftigen Wolkenbrüche und Gewitterstürme.
Ehe ein Medizinmann jemand behandelt, reinigt er sich immer zuerst mit einer Räuchermischung aus Wacholder, Mariengras (Hierochloe odorata; sweet grass), Bitterwurzel (Lewisa rediviva) und einem getrockneten Pilz. Jedes Mal, wenn der Heiler seine Energie neu aufladen will, hält er die Handflächen in den Rauch, hebt sie zur Sonne und drückt sie auf den Erdboden, ehe er sich wieder dem Patienten zuwendet. Ansonsten trinken die Cheyenne einen Tee aus den Zweigspitzen und Beeren oder legten sie auf die glühend heißen Steine der Schwitzhütte, wenn sie arg erkältet sind, an Fieber leiden oder mit einer Lungenentzündung zu tun haben. Bei Rheuma und Arthritis reiben sie eine Abkochung des Wachholders auf die schmerzenden Stellen. Frauen trinken einen Wacholdertee um die Geburt zu erleichtern.
Der Dämonenvertreiber
So wie bei den Indianern wird der Wacholder, überall wo er wächst, verehrt und genutzt. Die Schamanen Sibiriens, die Bön-Po Zauberer der Tibetaner oder die Trance-Tänzer der Hunza atmen den Rauch ein, wenn sie, auf der Schamanentrommel trommelnd, in die „andere“ Welt reisen, um krankheitsbringende Dämonen zu jagen. Die Esten glauben, mit einem Wachholderknüppel kann man den Teufel in die Flucht schlagen, denn – so sagen sie – das Kreuz, an dem Christus hing, sei aus Wacholderholz gefertigt worden. „Vor dem Holunder soll man den Hut abziehen; vor dem Reckholder das Knie biegen.“ Aus diesem Spruch, der noch im vorigen Jahrhundert in den Alpenregionen aktuell war, geht hervor, dass der Juniperus auch in unserem Kulturkreis heilig war. Schon in vorchristlichen Zeiten galt er als reinigend und dämonenvertreibend.
Der Rauch des Wacholders gilt als reinigend und dämonenvertreibend.
Die Germanen benutzten das nach Balsam duftende Holz für ihre Opferfeuer und für die Scheiterhaufen auf denen die Verstorbenen eingeäschert wurden. Noch lange, bis über das Mittelalter hinaus, wurde Wachholder zum Ausräuchern von Sterbehäusern verwendet. Das uralte Märchen vom Machandelbaum ist eine Reminiszenz des, mit dem Wachholder verbundenen Toten- und Wiedergeburtsglaubens der Kelten und Germanen: Die Schwester legt die Knochen des toten Bruders unter den Baum; dieser rüttelt und schüttelt sich, fängt Feuer und ein Vogel fliegt heraus. Es ist die Seele in Vogelgestalt. Schon in heidnischen Zeiten, in den „Rauchnächten“, zur Wintersonnenwende, wurden Stall und Gemächer mit dem wohltuenden Rauch ausgeräuchert. Und ganz profan, Schinken und Würste ließen sich bestens mit dem Kranewitt, dem Kranichholz, räuchern.
Noch lange brachte man dem heiligen Baum kleine Opfer. Wenn die kleinen Kinder kränkelten, dann legte die Mutter Wolle und Brot unter den Wacholder und sprach:
„Ihr Hollen und Hollinnen, hier bring ich Euch etwas zu spinnen und zu essen, und meines Kindes zu vergessen.“
Quelle: https://www.storl.de/artikel/der-wacholder-juniperus-communis/
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